Reformulierung von Lebensmitteln - braucht es neue Rezepte?
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Reformulierung von Lebensmitteln - braucht es neue Rezepte?

26.03.2020 | Pressebüro Dirschauer

In 24 europäischen Ländern gibt es dazu schon staatliche Vorgaben, auch Deutschland zieht nach: Die Mengen an Zucker, Salz und Fett sollen in Rezepturen reduziert werden. Das gilt derzeit für ausgewählte Fertigprodukte der Lebensmittelindustrie, nach einer aktuellen Aussage vom Bundesministerium für Ernährung demnächst auch für Speisen der Außerhaus-Verpflegung. Akteure des Netzwerk Culinaria beleuchten die Herausforderungen

Baustein für eine ausgewogene Ernährung: Eine frische Küche mit vielen Gewürzen und Kräutern, dafür weniger Salz, wie hier im Tortue Hamburg. / Bildquelle: Beide Netzwerk Culinaria
Baustein für eine ausgewogene Ernährung: Eine frische Küche mit vielen Gewürzen und Kräutern, dafür weniger Salz, wie hier im Tortue Hamburg. / Bildquelle: Beide Netzwerk Culinaria
Baustein für eine ausgewogene Ernährung: Eine frische Küche mit vielen Gewürzen und Kräutern, dafür weniger Salz.
Baustein für eine ausgewogene Ernährung: Eine frische Küche mit vielen Gewürzen und Kräutern, dafür weniger Salz.

Im Ketchup weniger Zucker, das Dessert nicht ganz so fetthaltig, die Pizza nur mit einer Prise Salz gewürzt - es klingt einfach und smart: Unsere Lieblingsspeisen bleiben, nur die Gehalte der drei Nährstoffe, die für viele Krankheiten mit als Auslöser gelten, werden im Rezept etwas reduziert, bis zu 15 Prozent.

Das Verändern von Rezepturen, die Reformulierung, ist eine der wichtigsten Maßnahmen der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie des Bundesministeriums für Ernährung. Bestätigt sehen sich die Ernährungspolitiker auch durch Wissenschaftler der WHO und eine international viel beachtete Studie von McKinsey: Demnach seien im Kampf gegen steigendes Übergewicht, Bluthochdruck und Gesundheitskosten in Milliardenhöhe die Rezepturanpassungen einer der wirksamsten Ansätze – von insgesamt 74 Maßnahmen, die die Autoren beleuchteten.

Langer Weg der kleinen Schritte

In die Pflicht wird zunächst die Lebensmittelindustrie genommen – Fertig- oder Halbfertigprodukte sollen auf freiwilliger Basis und bis 2025 mit deutlich weniger Zucker, Salz und Fett auskommen. Stellt sich die Frage: Machen das die Gäste mit? „Sie dürfen es geschmacklich nicht wahrnehmen“, so Dr. Torsten Dickau vom Netzwerk-Mitglied Nestlé Professional. Denn aus Untersuchungen weiß man: Gäste akzeptieren keine zu großen Abweichungen vom bekannten Geschmack. „Viele salzen dann einfach nach oder weichen auf ein anderes Produkt aus.“

Und auch das ist eine Hürde bei der Akzeptanz: Eine begleitende Aufklärung auf Verpackungen ist wegen der Health Claim-Verordnung kaum zulässig. „Aussagen zu einem reduzierten Gehalt an Nährstoffen sind nur ab 20 % Abstand zum Wettbewerbsprodukt zulässig“. Ergebnis: Koch und Kunde können derzeit kaum nachvollziehen, welche Produkte und warum sie salz-, zucker- oder fettreduziert sind.

Nun haben die Frankfurter in Eigeninitiative mit schrittweisen Veränderungen schon viel erreicht, rund 70 % aller Vorgaben sind umgesetzt. Doch: „Um die angepeilten, maximal 15 % Reduktion eines Stoffes zu erreichen, haben wir noch einen langen Weg vor uns, den Gaumen des Gastes umzugewöhnen“, schätzt der gelernte Koch und Oecotrophologe. Beispiel braune Soße, der Klassiker: „Hier reduzieren wir seit Jahren schrittweise Salz, arbeiten dafür mit mehr Röstgemüse und erhöhen den Knochenanteil für den Fond.“ Damit steigen die wertgebenden Anteile vom Fleischextrakt, der Würze und von natürlichen Aromen.

Doch obwohl in der 50 ml-Soßenportion am Ende nur winzigste Mengen Salz fehlen: Gäste schmecken es heraus. In Zahlen: Ein Liter braune Soße enthält 5 g Kochsalz. Nach einer 10-prozentigen Reduktion auf 4,5 Gramm Salz je Liter enthält damit die 50 ml-Portion Soße auf dem Fleisch nun 0,22 g – anstelle von zuvor 0,25 Gramm. „Das sind Veränderungen, die Gäste in unseren Tests wahrnehmen und keineswegs alle akzeptieren.“

Beim Reformulieren stellen Hersteller die Rezeptur komplett auf den Prüfstand: „Wir entwickeln quasi neu“, so Dickau. Denn das Verändern einer Zutat wirkt sich nicht nur auf die Sensorik aus, sondern auch auf die typische Konsistenz, die Textur, die Verarbeitbarkeit, etwa die Rieselfähigkeit oder auch die Haltbarkeit. Denn Zucker und Salz senken die mikrobiologische Aktivität, sind in vorgefertigten Komponenten immer auch Konservierungsstoffe. „Unsere drei großen Herausforderungen bei der Salz- und Zuckerreduktion sind Sensorik, Haltbarkeit und Zubereitung.“

Reduktion = Genussbremse?

In der Tat: Unsere Geschmacksvorlieben auszutricksen kann eine Herausforderung sein. Süß, salzig, umami, diese drei Geschmacksrichtungen präferieren wir schon seit Urzeiten, denn wir verbinden mit ihnen ungiftige und sättigende Nahrungsmittel, die unser Überleben sicherten, im Gegensatz zu bitter und sauer. Und bei fetthaltigen Speisen wie Schokolade oder Eis ist das cremige Mundgefühl durch den Fettgehalt für das Geschmackserlebnis hauptverantwortlich.

„Zu unserer Mousse au Chocolat bieten wir auch eine von uns ausgetüftelte Rezeptur mit fettarmer Milch an – doch man tritt dabei schon etwas auf die Genussbremse“, so Dickau. „Es muss schmecken, und viele Köche wählen daher den Rezeptvorschlag mit mehr Sahne, ob bei einer Bayerisch Creme oder der Mousse au Chocolat.“ Reformulierung kann aber auch heißen: Austausch von Fetten mit mehr Risikopotenzial gegen gesündere: „Wir haben in den letzten Jahren zum Beispiel die gesättigten Fettsäuren in unserer Sauce Hollandaise auf ein Minimum gesenkt durch höhere Anteile von Raps- und Sonnenblumenöl.“

Mit DGE-Standards im grünen Bereich

Auch selbst zubereitete Speisen in der Außerhaus-Verpflegung sollen künftig analog zu den Vorgaben rund um Fertigprodukte einbezogen werden, teilte eine Sprecherin des BMEL auf Anfrage mit. Das Ziel: Köche in Mensen und Kantinen stellen eigene Rezepte auf den Prüfstand, um ebenfalls bis 2025 weniger Salz, Zucker und Fette zu servieren. Entsprechende Maßnahmen würden nun sukzessive in den Begleitgremien gemeinsam mit maßgeblichen Akteuren der Branche erarbeitet.

Brancheninsider sehen dem gelassen entgegen: „Für Caterer und Köche, die sich bislang schon um eine gesunde, präventiv wirkende Ernährung bemühten, sich an Branchenstandards orientierten, dürfte das weder neu noch eine Herausforderung sein“, kommentiert Dr. Elke Liesen von Lehmanns Gastronomie in Bonn die kommenden Regelungen. Die Oecotrophologin beim Bonner Schul- und Kitaverpfleger verweist auf die Rahmenbedingungen von wissenschaftlich basierten, praktikablen Standards, etwa den DGE-Qualitätsstandards, Optimix oder der Bremer Checkliste.

„Als DGE-zertifizierter Caterer fühlen wir uns schon lange den entsprechenden Standards bei Zucker, Salz und Fett verpflichtet.“ Ein ganzes Bündel an Maßnahmen trägt dazu bei: Die Kindergerichte werden von geschulten Köchen hergestellt, alles bei höchstem Eigenfertigungsgrad. So werden auch Dips selbst gemacht, mit vielen Kräutern, um die Salzzugabe einschränken zu können. Für den Kioskbereich gibt es zuckerarme Frühstücksbecher mit Obst, und im Dessertbereich wurde lange getüftelt, um nur gering gezuckerte Varianten bieten zu können: Das gelingt mit frischen oder tiefgekühlten Früchten oder dem Zusatz hochwertiger Fruchtpürees.

Auch die Salzzugabe ist mengenmäßig definiert. Wobei die generelle Marschroute beim täglichen Abschmecken Juniorchef Stefan Lehmann so vorgibt: „Wenn es nach unserem Geschmack noch etwas nachgesalzen werden könnte, ist es für die Kinder genau richtig.“ Auch beim Netzwerk-Mitglied Deutsches Studentenwerk (DSW) sieht man sich für kommende staatliche Regelungen gut aufgestellt. „Wir arbeiten in allen 57 Studentenwerken und Studierendenwerken an Lösungen, noch mehr Gäste von gesünderen Angeboten zu überzeugen“, erklärt Sarah Bock, Leiterin Referat Hochschulgastronomie im DSW.

„Die Köchinnen und Köche der Mensen und Cafeterien nehmen viele Schulungen wahr, sind offen, kreativ, probieren viel aus, etwa zu veganen Gerichten.“ Doch der Ernährungsauftrag richtet sich an alle Studierenden, auch an den in der DSW-Studie ausgemachten Ernährungstyp „schneller Allesverzehrer“: Diese 26 Prozent unter den studentischen Gästen bevorzugen eher preiswertes und schnell zubereitetes Essen. Daher würden Renner wie Currywurst mit Pommes oder Burger auch im Angebot bleiben: „Wir sprechen alle an, möchten niemandem einen Ernährungsstil aufdrängen“, so Bock.

Doch allen Verantwortlichen in den Mensen steht ein besonderes, ein nährstoff-optimiertes Angebot zur Verfügung: Sie können dank einer Initiative aus den ostdeutschen Studentenwerken heraus seit über zehn Jahren auf einen ständig aktualisierten Pool an nährstoffoptimierten Gerichten zurückgreifen: die Menülinie Mensa Vital. „Die Tellergerichte sind ausgewogen, fettarm und aus frischen Zutaten hergestellt,“ erläutert Sarah Bock. Fettfallen wie frittierte oder panierte Speisen sind nicht dabei, dafür setzt man auf fettarme Zubereitung wie Dünsten, dazu hochwertige Öle wie Raps- oder Olivenöl. Auch die Salz- und Zuckergabe ist definiert, im Gegensatz zu den herkömmlichen Gerichten.

Die Menülinie kommt an, bestätigt Anja Pforte vom Studierendenwerk Thüringen. „Jedes fünfte Essen bei uns ist ein Gericht der Marke Mensa Vital“, berichtet die Abteilungsleiterin der Hochschulgastronomie in Jena. „Ein Baustein von vielen ist, dass wir keine Konserven verwenden, denen ja oft reichlich Zucker oder Salz zugesetzt ist, sondern naturbelassene Produkte, die wir selbst würzen oder süßen.“ Seit drei Jahren ist auch der Salzgehalt im Mittagessen definiert: Ein Mensa Vital-Gericht darf auf 100 Portionen maximal 200 g Kochsalz zugefügt werden – das sind 2 Gramm je Mittagsmahlzeit.

Zum Vergleich: Eine herkömmliche Pizza mit 350 Gramm enthält je nach Sorte zwischen 4 bis 8 g Kochsalz. „Natürlich wissen wir, dass alles mit dem Faktor Mensch steht und fällt“, gibt Anja Pforte zu bedenken. „Alles grammgenau abzuwiegen, das ist im Tagesgeschäft manchmal eine Herausforderung.“ Denn die sensorische Prüfung, die regelmäßig am Vormittag von zwei bis drei Kollegen der Küche übernommen wird, ist eben auch eine mit subjektivem Faktor.

Pforte versucht mit ihrem Team ein Bewusstsein dafür zu schaffen, etwa durch Aufklärung in Mensa Vital-Aktionen für die Gäste, gemeinsam mit Ernährungsberatern, Vertretern der Krankenkasse und vom Sportverein. Reformulierung – es ist eine gute Sache für Rezepturen in der Gemeinschaftsverpflegung, findet die Oecotrophologin. „Wir sehen, dass in der Kochausbildung dieses Thema nur marginal gestreift wird. Daher müssen wir als Großverpfleger Verantwortung übernehmen und wollen auch sensibilisieren.“

Fazit

Da sich alle umgewöhnen müssten, Köche und Gäste, präferiert Anja Pforte Verbindlichkeit bei Vorgaben rund um Zucker, Salz und Fettgehalte. „Es würde allen das Kochleben einfacher machen, und in den EU-weit vorgeschriebenen Ausschreibungen ließe sich alles besser steuern.“

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